Kapitel 04 im Heibel-Ticker vom 25.11.16:
Ende Juli hatte ich von der Kooperation zwischen Paypal und Visa berichtet. Wir hatten damals noch Paypal in unserem Portfolio und ich habe die Position daraufhin aufgelöst, da sich Paypal meines Erachtens einen großen Teil seines Wachstumspotentials verbaut hat.
Seither bin ich auf der Suche nach dem Profiteur dieser Entwicklung. Das Bargeld wird immer stärker durch Kredit- und EC-Karten ersetzt, zusätzlich sprießen Online-Bezahlmöglichkeiten wie Pilze aus dem Boden. Bringen wir mal ein wenig Ordnung in den Wilden Westen der Bezahlmöglichkeiten.
In meinen Augen gibt es drei wichtige Aspekte: Die Kunden, die Technologie und die Infrastruktur. Händler haben den direkten Zugang zum Kunden. Für die Abwicklung der Bezahlung müssen sie Technologien einsetzen, die möglichst sicher und dennoch günstig sind. Diese Technologien müssen möglichst in allen Ländern dieser Welt funktionieren und lokale Gegebenheiten berücksichtigen.
1994 hatte ich in Nepal noch einen Stapel von Travelers Schecks mit. Zehn Jahre später reichte mir in Neuseeland die Visa-Karte sowohl zum Bezahlen als auch zum Bargeld abheben. Vom Travelers Scheck zur Visa-Karte war es aus Sicht der Einzelhändler ein Rückschritt, denn während sie den Travelers Scheck binnen drei Tagen auf ihrem Konto gutgeschrieben bekamen, mussten sie teilweise sechs Wochen auf das Geld von Visa warten.
Ob Sie in fünf Jahren noch mit Ihrer Plastikkarte zahlen werden, oder mit Ihrem Smartphone, oder gar mit Ihrer Smartwatch, ist mir ziemlich egal. Ich gehe aber davon aus, dass die Nutzung von Bargeld immer stärker erschwert wird. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Kriminalität und Schwarzen Kassen wird das Bargeld immer weiter zurückgedrängt. In Europa wurde im Mai die Abschaffung des 500€-Scheins beschlossen, weitere Scheine stehen auf dem Prüfstand.
Ich möchte hier keine Diskussion darüber anstoßen, ob diese Entwicklung uns in Richtung 1984 von George Orwell führt (Kontrollstaat), ich nehme die Entwicklung lediglich zur Kenntnis. Und dieser Trend ist nicht nur in Europa zu sehen, sondern in der ganzen Welt.
INDIEN SCHAFFT BARGELD AB
In Indien wurde vor einer Woche völlig überraschend und ohne größere Vorbereitungen verkündet, dass 86% des im Umlauf befindlichen Bargeldes zum Jahresende wertlos wird. 500- und 1.000-Rupiescheine werden eingezogen, das entspricht einem Wert von 7 bzw. 14 Euro. Diese beiden Scheine repräsentieren 86% des im Umlauf befindlichen Bargelds.
In der englischsprachigen Presse überschlagen sich die Berichte über die langen Schlangen vor den Banken und über den wirtschaftlichen Einbruch bei kleinen Einzelhändlern, die bis dato keine alternativen Zahlungsmethoden anbieten. Bei uns wird darüber leider kaum berichtet.
Seit 2011 ist die Verbreitung von Bankkonten in Indien von 35 auf 53% angestiegen, immerhin. Doch 47% haben bislang noch kein Konto und sind somit nun vom Wirtschaftsleben quasi ausgeschlossen. Bei uns und selbst in China haben über 80% der Bürger ein Konto.
In Indien haben nur 1,2 Mio. der 14 Mio. Einzelhändler die Möglichkeit, Kartenzahlungen zu akzeptieren. In Folge der Bargeldabschaffung wird sich diese Zahl sprunghaft nach oben entwickeln. Bislang wurde für Indien ein Wachstum des elektronischen Zahlungsverkehrs für Einkäufe ein Sprung von 38 Mrd. USD im laufenden Jahr auf über 1 Billionen USD im Jahr 2020 erwartet. Diese Erwartung dürfte sich als zu konservativ herausstellen, da die Bargeldabschaffung zur Zeit dieser Schätzung noch nicht bekannt war.
KUNDEN
Paypal ist Marktführer in Sachen Online-Zahlungen. Wissen Sie, warum das so ist? Weil Paypal das erste Unternehmen war, das Online-Zahlungen ermöglichte UND Zugriff auf eine treue Kundschaft hatte. Paypal gehörte zu Ebay und ein Großteil der über Ebay gekauften Artikel wurde über Paypal bezahlt. Das gab Paypal das Grundrauschen, um die Online-Zahlungsabwicklung weiterzuentwickeln, bis heute ist Paypal Online führend.
Paypal versuchte bereits vor einigen Jahren, auch Offline Fuss zu fassen. In einer Kooperation mit Home Depot wurde die Zahlung an der Kasse des Baumarktes ermöglicht. Die Hürde dieses Projektes bestand wider Erwarten nicht darin, die Kunden zu motivieren, ihre Paypal-Zugangsdaten mit zum Baumarkt zu bringen, sondern vielmehr war die Anbindung von Home Depot an das Paypal-Abrechnungssystem wesentlich aufwendiger als gedacht. Kreditkarten haben diese Infrastruktur bereits seit vielen Jahren am Laufen.
In der jüngeren Vergangenheit haben nun weitere Zahlungsabwickler den Markt betreten: Apple Pay und Android Pay (Google) bieten ihren Kunden die Zahlung per Fingerabdruck an. Diese beiden Schwergewichte haben den Vorteil, dass ihre Kunden gerne innerhalb ihres Ökosystems bleiben und eine darin angebotene Zahlungsabwicklung gerne nutzen werden.
Facebook wird für die jüngere Generation zur Homepage, zum Startpunkt für das Internet. Auch Facebook hat sich nun einen Zahlungsabwickler gesucht: Paypal. Facebook könnte somit zum neuen Ebay für Paypal werden. Damit baut Paypal seine Online-Dominanz aus, der Sprung in die Offline-Welt jedoch ist das nicht.
In China entwickelt sich WeChat von Tencent zum Zahlungsmittel der Wahl. Wenn Sie als Einzelhändler Geld von einem Kunden haben möchten, erstellen Sie auf Ihrem Smartphone einen entsprechenden QR-Code. Ihr Kunde scannt diesen QR-Code mit seinem Handy. WeChat transferiert nun direkt vom Kundenkonto den Betrag an den Einzelhändler, ohne dass die beiden irgendwelche Details voneinander preisgeben müssen. Die entsprechenden Bankdetails haben die beiden jeweils in ihrem WeChat hinterlegt.
WeChat hat 700 Mio. Nutzer, davon haben 200 Mio. ihre Bankdaten hinterlegt. Für 2016 erwartet Reuters ein Transaktionsvolumen von 556 Mrd. USD über die Zahlungsfunktion von WeChat. In China ist also der Messenger Dienst WeChat wesentlich mehr als nur ein Messenger. Auf dieser breiten Nutzung baut der Zahlungsdienst von WeChat auf.
TECHNOLOGIE
Square, das zweite Unternehmen von Twitter-Gründer Jack Dorsey, bietet die Zahlungsabwicklung am POS (Point-of-Sale, beim Einzelhändler) an. Dabei wird das Smartphone zum Kassenterminal umfunktioniert, ein Kartenlesegerät kann auf das Smartphone aufgesteckt werden.
Paypal hat 2013 den führenden Technologieanbieter für Online-Zahlungsabwicklungen gekauft: Braintree. Braintree-Lösungen werden von so ziemlich allen namhaften Online-Bezahlmethoden verwendet.
Ich glaube nicht, dass die Technologie langfristig erfolgsentscheidend ist. Die Richtung ist klar: Eine sichere, anonyme und dennoch komfortable Abwicklung ist das Ziel. Das sind eine ganze Reihe von Ansprüchen, die gelöst werden müssen. Insbesondere Anonymität und Sicherheit lassen sich nicht einfach realisieren, ohne dabei zusätzlichen Aufwand für den Kunden zu erzeugen.
Doch das ist lösbar und in wenigen Jahren wird es dann zweitrangig sein, ob die dazu verendete Technologie von Braintree oder von einem anderen Unternehmen kommt.
INFRASTRUKTUR
Kommen wir zum dritten Aspekt, der Infrastruktur. Mastercard, American Express, Visa und Discover heißen die großen Kreditkartengesellschaften unserer Welt. Visa ist die mit Abstand größte.
Zur Infrastruktur gehören auch banknahe Unternehmen, die sich um die korrekte Abwicklung der Zahlungsströme kümmern. FiServ und First Data werden intensiv von den Kreditkartenanbietern genutzt. Aber auch Western Union verfügt über ein eigenes Abwicklungsnetz und erreicht die entlegensten Stellen der Erde. Zudem gibt es Dienstleister in diesem Bereich wie Total Systems Services (TSS) oder Global Payments (GPN).
Zur Infrastruktur gehören auch Unternehmen wie Fleetcor (FLT), die Tankkarten für Unternehmen ausgeben, oder Vantiv (VNTV), die Einzelhändlern das Eintreiben der Rechnungen abnehmen.
Damit wir auch ein deutsches Unternehmen dabei haben: Wirecard spielt hier sehr aggressiv mit und baut sich sein eigenes Netzwerk auf.
VISA: DIE SICHERE BANK
Okay, ich spanne Sie nun nicht länger auf die Folter: Mein Favorit in diesem Umfeld heißt Visa. Ich bin darauf gestoßen, weil Paypal im Rahmen der Kooperation mit Visa einen großen Teil seiner Wachstumsphantasie ad acta legte. Da muss Visa schon etwas haben, das sich nicht so leicht duplizieren lässt.
Es ist die Verbreitung weltweit. Weltweit sind 1,2 Mrd. Visa-Karten im Umlauf, alle mit Konten hinterlegt. Kein Kunde möchte auf Reisen immer wieder das Zahlungsmittel ändern. Das wissen wir, seit wir die Segnungen des Euros erhalten haben: Kein lästiges Wechseln mehr von Währungen vor dem Urlaub, keine unterschiedlichen Währungen im Portemonnaie. Und für die Zukunft heißt das: Keine Vielzahl an Zahlungsabwicklungsmethoden auf dem Smartphone.
Mag sein, dass sich Paypal Online noch eine Weile hält. Die Kooperation mit Facebook ist sicherlich eine großartige Chance für Paypal.
Offline jedoch dominiert Visa die Welt. Und die Welt zahlt morgen digital, das Bargeld wird immer weiter zurückgedrängt. Visa profitiert also zum einen von der immer stärkeren Nutzung digitaler Zahlungsmethoden in der Offline-Welt. Zum anderen profitiert Visa überproportional vom Wachstum der Schwellenländer wie Indien und China. Auch mit russischen Banken hat Visa kürzlich die laufenden Verträge verlängert – trotz Sanktionen gegen und Beschimpfungen von Putin.
Die größte Hürde für die Zahlungsdienstleister ist das Einsammeln der Kontoverbindung der Kunden. Überlegen Sie mal, wie lange Sie zögern, bevor Sie irgendwo Ihre Bankdaten angeben.
GESCHÄFTSENTWICKLUNG
Visa wickelt 1,85 Bio. USD pro Quartal ab, ein Wachstum von 10% gegenüber dem Vorjahr. Der Umsatz ist im abgelaufenen Jahr um 20% angesprungen, bereinigt um die Übernahme von Visa Europa landen wir auch hier wieder bei 10%.
Doch die Wachstumsrate soll anziehen. Für das laufende Bilanzjahr (bis Sept. 2017) prognostiziert das Unternehmen ein Umsatzwachstum von 16-18%. Der Gewinn werde dabei um 15% anspringen.
BEWERTUNG
Der Umsatz von Visa entspricht nicht den abgewickelten Zahlungsströmen, sondern bezieht sich nur auf die Einnahmen von Visa. Diese betrugen 15 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2016. Daraus hat Visa einen Gewinn (EBITDA) von 10,3 Mrd. USD generiert. Die operative Marge steht bei 66%!
Kein Wunder, dass diverse Unternehmen versuchen, sich ein kleines Stückchen von Visas Kuchen abzuschneiden, doch ohne Erfolg, wie wir bei Paypal gesehen haben.
Entsprechend hoch sieht die Marktkapitalisierung für dieses Umsatzniveau aus: 168 Mrd. USD sind mehr als das Zehnfache. Wenn wir uns jedoch den Gewinn anschauen, relativiert sich die hohe Bewertung. Das KGV 2017e beträgt nur 21. Für prognostizierte 15% Gewinnwachstum ist das nicht viel. Auch Analysten erwarten von Visa ein Gewinnwachstum von über 16% p.a. in den kommenden fünf Jahren.
Das KGV im Verhältnis zur Wachstumsgeschwindigkeit (PEG-Ratio) beträgt 1,5. Für etablierte Unternehmen setzt man hier meist eine 1 an. Für Wachstumsunternehmen kann diese Ziffer schon mal auf bis zu 2 steigen. Visa ist also nicht mehr billig, aber noch nicht überteuert.
AKTUELLE UNTIEFEN
In den vergangenen Tagen stand Visa unter Druck. Es wird nun gerichtlich untersucht, ob Visa die Gebühren für die Zahlungsabwicklung von Guthabenkarten mit unfairen Mitteln zu hoch ansetzt. Dabei missbrauche Visa seine Marktmacht und hindere Dienstleister daran, günstige Alternativen außerhalb des Visa-Netzwerks anzubieten. Die Aktie ist in Folge dieser Meldung um 2,5% eingebrochen.
Zudem wurde Visa in Folge des Trump-Siegs verkauft: Zyklische Aktien hätten bessere Chancen, dachten sich viele Anleger und verkaufen Wachstumsaktien.
Dabei ist es Donald Trump viel eher zuzutrauen, eine Vielzahl von in der Kritik stehenden Regulierungen der Finanzbranche über Bord zu werfen. Davon würde auch Visa profitieren. Zudem würde ein Trump-Infrastrukturprogramm den Konsum in den USA fördern, immerhin erwirtschaftet Visa noch immer fast die Hälfte seines Umsatzes in den USA.
Und zu guter Letzt verlässt CEO Charles Scharf nach vier Jahren an der Spitze von Visa mit nur 51 Jahren den Konzern. Sein Nachfolger Alfred Kelly kommt von American Express, sitzt aber schon seit einigen Jahren im Aufsichtsrat von Visa. Die beiden haben Berichten zufolge eng zusammengearbeitet, so dass kaum ein nennenswerter Strategiewechsel stattfinden wird. Dennoch ist jeder Wechsel an der Unternehmensspitze mit Risiken behaftet.
FAZIT
So ist der Kurs von Visa vom Hoch bei 77,80 Euro derzeit um 3% auf 75,58 Euro zurückgekommen. Nicht viel, vor allem nicht genug, um hier schon einzusteigen. Ich würde mit einem ersten Kauf auf Kurse um 5% unter dem Hoch warten, also Kurse um 74 Euro.
Visa wird die frei gewordene Position der Finanzaktie in unserem Wachstums-Portfolio übernehmen. Die 15% Gewinnwachstum halte ich für konservativ geschätzt. Allerdings ist das Bewertungsniveau bereits recht hoch, so dass ich nicht dem Kurs hinterherjagen würde. Ich würde auf Kurse um 74 Euro warten, um eine erste Position zu eröffnen.
Als Ziel stelle ich mir vor, dass die Aktie parallel zur Gewinnentwicklung jährlich um 15% zulegen wird.
Stephan Heibels Investmentideen werden im Heibel-Ticker Portfolio umgesetzt und können dort transparent nachverfolgt werden.
Die Heibel-Ticker PLUS Mitglieder nutzen die Investmentideen in der Regel zur Orientierung für ihre eigenen Investmententscheidungen. Deren Performance ist in der Regel noch besser als die durchschnittlichen 11% pro Jahr vom Heibel-Ticker Portfolio.
Bei Interesse finden Sie auf der Heibel-Ticker PLUS Seite weitere Informationen und Möglichkeiten zur Mitgliedschaft. Antworten zu den häufigsten Fragen gibt es ebenfalls und gerne beantworten wir individuelle Fragen über das Kontaktformular.